Bernhard Peter
Feste Indiens: Versenkt Ganesha!
Ganpati-Fest in Udaipur

17. September 2005
Auch Götter haben Geburtstag!
Ganesha z. B. wurde am Bhadrapada Shukla 4 geboren, oder sagen wir ausführlicher, am 4. Tag der hellen Monatshälfte (Shukla-Hälfte) des Monats Bhadrapada, in diesem Jahr auf den 7. September 2005 fallend. Dieser erste Tag des Festivals wird auch Ganesha Chaturthi genannt. Zu Beginn des Ganesha-Festes werden Bildnisse des elefantenköpfigen Gottes hergestellt oder gekauft und aufgestellt, die kleineren zu Hause, die größeren auf eigens dafür errichteten Plattformen in der Stadt, um die herum allabendlich allerlei Spektakel geboten wird. Aber ehe sie dort aufgestellt werden, werden sie auf Wagen montiert und mit viel Spaß und Trubel durch die Stadt gefahren und abends gemeinsam in einem langen Umzug präsentiert. Die Straßen werden mit Girlanden aus blauem und silbernem Plastikflitter überspannt, Lautsprecher werden neben der Bühne mit dem Ganesha-Idol montiert, allabendlich werden Aartis (eine Art gesungener Gebete) dargeboten. Diesen ersten Tag des Ganesha-Festes hatte ich in Jaipur gesehen, den Abschluß durfte ich in Udaipur miterleben.

Eine Vielzahl kleinerer Festkomitees kümmert sich um Beschaffung der Idole und Aufstellung derselben in eigens dafür aufgebauten temporären Tempeln (Mandap) an Straßenrändern und öffentlichen Plätzen. Ein solches Festkomitee wird gestellt von den verschiedensten Gemeinschaften wie Straßen- oder Nachbarschaftsgemeinschaften, Marktgemeinschaften, Handwerkerzusammenschlüssen, reichen Händlern, politischen Organisationen etc.

Insgesamt dauert das Ganesha-Fest 10 Tage, während der den aufgestellten Bildern Verehrung erwiesen wird, und heute ist der letzte Tag davon, der Bhadrapada Shukla 14 (dieses Jahr der 17. September 2005, Mondkalender…), auch „Ganpati Visarjana“ oder „Anant Chaturdashi“ genannt. 

Nach 10 Tagen steuert das Ganesha-Fest heute seinem Höhepunkt entgegen: Der Versenkung! Nach 10 Tagen Verehrung, regelmäßigen Blumenspenden und abendlichen Aartis heißt es dann in allen Mandaps: Auf die Reise, auf zum Seeufer!

Überall in der Stadt sind sie schon vormittags zu sehen: Pickups, Traktoren mit Anhänger, Kamelkarren, Handkarren auf Speichenrädern, Viehtransporter. Vorne ein großes Plakat oder eine Wand aus Holz oder Bambus, mit dem Rücken zur Wand sitzend eine Ganesha-Figur (Photos). Meist ist sie in Halbschale hergestellt und grellbunt bemalt. Die Figuren auf den Wagen sind meistens 1-2 m groß. Aufgebaut sind sie auf einem Lattenkern oder Drahtkonstruktionen etc., dann wird mit Streifen von Sackleinwand und Gips eine Ganesha-Statue modelliert, welche anschließend geglättet und bemalt wird. In kitschiger Schrillheit läßt sich der dickbäuchige Gott mit Elefantenrüssel und Segelohren seinem nassen Schicksal entgegen fahren (Photos).

Viel aktiver als das Götterbild ist die Besatzung des Gefährtes: Ca. 5-15 Jungs jeden Alters, alle schon bunt zugerichtet mit Farbpulver, strahlendster Laune, wie bei einem Karnevalsumzug. Mit Metallstangen wird auf der Ladeklappe des Wagens ein wilder Rhythmus geklopft, und auf dem Wagen geht die Post ab! Es wird gejohlt, gebrüllt und vor allem mit Farbpulver geworfen.

Aus allen Richtungen strömen die Wagen zusammen, in der ganzen Stadt sind sie unterwegs, jedes Festkomitee steuert seinen Wagen bei. Überall kommt es schon vormittags zu Staus und Stockungen, weil wieder ein Wagen Chaos und gute Laune verbreitet (Photos). Alles mündet in die Straße zum Gangaur Ghat mit seinen Treppenstufen zum Pichola-See.

Auf der Plattform über den Stufen, wo tagsüber eingeseifte Wäsche geklopft wird, wird angehalten, Räucherstäbchen werden vor den Bildnissen Ganeshas entzündet. Letzte Riten werden vor Ganeshas Bild abgehalten (Photos). Seine Lieblingsspeisen, vor allem Bananen, dann aber auch Kokosnüsse und gelber Mais werden vor ihm ausgebreitet. Insbesondere der quietschgelbe Mais und manchmal auch Stücke von Kokosfleisch werden an die Umstehenden verteilt (Photos). Bananen und Kokosnüsse werden in den See hinausgeworfen. Dann wird die Figur mit vereinten Kräften gepackt und vom Pickup o.ä. herunter die Stufen zum Wasser getragen und im See versenkt (Photos).

Dieses Jahr ist es in Udaipur ein besonders ausgiebiges und ausgelassenes Fest, dank der ausgiebigen Regenfälle der letzten Tage! Der See ist gegenüber dem Vortag schon wieder um zwei Stufen gestiegen und somit gut gefüllt. In den letzten beiden Jahren war das nicht so, wegen Trockenheit war der See nur eine winzige Pfütze, und man konnte die Bucht, vor der wir hier stehen, zu Fuß überqueren – also kein Ganpati-Fest! Statt sich im Wasser zu spiegeln grenzte das berühmte Panorama an eine schmutzige Wiese. Als Notlösung fand ein kleines Fest an einem 17 km entfernten See statt, aber das ist natürlich kein vollwertiger Ersatz, insbesondere nicht für die Jugend des Ortes, die sich zwei Jahre lang um ihr Vergnügen betrogen sahen. Das wird jetzt alles nachgeholt! (Photos)

Die kleineren Ganesha-Statuen – meist nur einer einzelnen Familie zuzuordnen – werden von einzelnen Personen gebracht, häufig auf dem Kopf balanciert, aber auch in Gruppen zu den großen Bildnissen auf die Wagen dazugestellt. Sie werden einfach von der untersten Stufe aus ins Wasser gleiten gelassen, oder Schwimmer bringen sie nach draußen in die Bucht, um sie ca. 20-40 m vom Ufer entfernt zu versenken. Die kleineren Figuren sind häufig das Werk der Kleinsten, die ganz stolz und vorsichtig ihr Bastelwerk den Fluten übergeben.

Die größeren Figuren von Ganesha werden meistens von ganzen Gangs gebracht, es ist das Werk einer ganzen Gruppe, Gemeinschaft oder eines Stadtviertels. Diese 1-2 m hohen Figuren werden auf Boote verladen, was gerade an kleineren Figuren da ist, wird dazugestellt. Es sind zwei Boote im ständigen Einsatz, die immer wieder am Ghat anlegen (Photos), neue Ganesha-Figuren aufnehmen nebst wenigen Begleitern (worauf die stockbewehrten Ordnungshüter streng achten, denn am liebsten würde die ganze Meute von ein paar Hundert Leuten zusteigen) und in der Mitte der Bucht die Bildnisse versenken.

Auf dem Weg zum Ghat wird schon getanzt, was das Zeug hält. Im Prinzip hat jeder Wagen mit einer größeren Figur eine eigene Musikquelle. Im einfachsten Fall ist das eine Gruppe von Trommlern (Photos), die heiße Rhythmen takten, zu dem die Jugendlichen zappeln (Photos). Und es ist wirklich noch steigerungsfähig, denn am Ghat geht es erst richtig los. Die Trommler gehen einzeln durch die Menge und heizen ihr ein, immer wieder findet sich ein Trupp Jugendlicher, der die Ghat-Plattform zur Disco macht und loslegt, daß einem der Atem stockt. Da schon auf dem Weg fleißig mit roter, grüner, blaugrüner, gelber, violetter Farbe geworfen wird, sind Kleidung, Hände, Gesichter und Haare zu diesem Zeitpunkt schon komplett bunt verschmiert – strahlend schöne Menschen in bester Feierstimmung, und die Buntheit paßt zur ausgelassenen Stimmung. Andere Gruppen bringen eine Pseudo-Blaskapelle mit, wieder andere haben eine Stereoanlage mit großen Boxen auf einem Wagen montiert. Die krasseste Musikbegleitung war die Stereoanlage mit zwei Mega-Boxen auf einem Karren montiert, der von einem Kamel gezogen wurde, Generator separat auf einem zweiten Kamelkarren.

Aber auch die Frauen lassen sich auf’s Tanzen ein. Natürlich mischen sie sich nicht unter die Jungs, sondern bilden Gruppen für sich und die sonst so reservierten Rajasthani-Frauen geben sich mit fliegenden Saris der ausgelassenen Stimmung hin, daß Arme und Tücher wirbeln (Photos und Photos). Immer wenn sich eine Gruppe zum vereinten Tanz bildet, kondensieren quasi die Trommler an deren Rand und spornen sie mit immer heißeren Rhythmen zu ausgelassenem Gezappele an.

Immer neue Gruppen ziehen in langer Prozession die Straße hinab zum Ghat, und jedesmal, wenn man nur ein paar Schritte die Straße hoch macht, ziehen einen die Jungs immer wieder mit vereinten Kräften in ihren Strudel und spülen einen wieder zum Ghat hinunter durch das alte dreibogige Tor zum Wasser.

Auf allem, was Räder hat, kommen immer neue Ganesha-Bilder jeden Geschmacks, Hauptsache schrill, grell und vor allem bunt! Die Gipsbilder sind alle schon kräftig mit Farbpulver eingestäubt, der einsetzende Regen läßt diese in bunten Bächen an ihnen herunterlaufen. (Photos)

Es ist ein Fest des Volkes – Ganesha ist der populärste Gott und der beliebteste, ist er doch der Gott des Erfolges, des guten Gelingens. Ganesha ist

Ganesha wird von allen verehrt, von Shaiviten wie von Vaishnaviten, ja eigentlich ist das Festval sogar religionsübergreifend.

Und es ist ein Fest der Jugend – was könnte den Jungs mehr Spaß machen als eine Wasserschlacht, eine Farbschlacht, Karnevalsumzug, Freibad, Tanzveranstaltung, Open-air-Disco, alles in einem! 80 Prozent der Anwesenden sind unter 20 Jahre alt, schätze ich – Indien ist jung! (Photos, Photos)

Die einzelnen Gruppen von Jungs sind häufig einheitlich gekleidet, weiße, rote oder sattgelbe Stirnbänder zu weißen T-Shirts oder Muscle-Shirts mit einheitlicher Aufschrift kennzeichnen die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Festgruppe. Naß sind sie vom Tanzen, Wasserspritzen, Bad im See oder vom Regen oder von allem zusammen, und der Ausdruck „körperbetont“ ist für das Auftreten ziemlich untertrieben... Jeder Muskel spielt unter der nassen Baumwolle, schwarze Strähnen fallen über den Stirnbändern im Rhythmus in die hübschen Gesichter, über die Bäche roter Farbe rinnen. Eine Augenweide! Da schon auf dem Weg zum Ghat die Straße herunter fleißig mit roter, grüner, blauer, gelber Farbe geworfen wird, sind Kleidung, Hände, Gesichter beim Ankommen schon kräftig gezeichnet, und am Ghat wird dann das restliche Farbpulver verbraten, und dann stürzt man sich ins Tanzen. Regen hin, Regen her, es ist dieses Jahr endlich wieder möglich, ein richtiges Fest in der Stadt zu haben, also Vollzeug! (Photos) Eine Wet-Party gibt nur einen äußerst schwachen Vergleich mit dem, was hier abgeht.

Zur Abkühlung springt man auch gleich mit in den See, wenn ein Götterbild versenkt wird. Und vom Boot springt auch schon mal einer rein und schwimmt zum Ufer zurück, denn jeder will so nahe wie möglich sein, wenn das Idol den (hier sehr flachen...) Fluten übergeben wird.

Das Fest geht relativ lange, beginnend ca. 14.00 werden bis nach Einbruch der Dunkelheit immer neue Figuren gebracht, insgesamt Hunderte. Am alten Tor sitzt ein Ordnungshüter in Khaki (mit tagesaktuellen roten Verschönerungen) und hakt in seiner Kladde die einzelnen Festwagen ab.

Kracher auf der Straße kündigen neue Gruppen an. Jemand hat einen Super-Knallfrosch Marke Eigenbau gezündet, und als seine etwa 30 Explosionen vorbei sind, steht die Straße unter Pulverdampf, durch den ganz entgeistert und mit versteinerter Miene ein lila bestaubtes Kamel des folgenden Karrens blickt. Ein Anblick, den man nicht alle Tage hat.

Wie sehr es ein Fest des Volkes ist, sieht man auch daran, daß die Opfer und Riten nicht von Brahmanen abgehalten werden, sondern die einzelnen Gruppen machen das selbst, das Entzünden der Räucherstäbchen, das Kreisen der mehrdochtigen Lampe, über die danach die Umstehenden ihre Hand halten, um sie danach an die Stirn zu führen, das Verteilen des Maises.

Handkarren dienen isoliert als Kampfplattform – Plastiktüten voll Farbe und ein paar Jungs, schon ist grüner Nebel in der Straße und erneutes Knirschen zwischen den Zähnen sichergestellt.

Würdenträger kommen zu Pferde, die Pferde prächtigst geschmückt mit einem Netz aus Goldstickerei über dem Hals und einer Decke mit vielen umstickten Spiegelchen. Eine Blaskapelle in Phantasieuniform begleitet sie. Im Gefolge ist weiterhin eine ganze Gruppe von Personen, die alle in weiße oder orangefarbene Tücher gehüllt sind und über der Stirn ein großes silberfarbenes Diadem tragen. Wegen des Regens hat der Oberboß seinen schicken Turban noch in eine Plastikfolie geschlagen, erst am Wasser zeigt er sich in ganzer Pracht.

Eine neue Gruppe kommt, ca. 6 Jungs, alle bis zur Unkenntlichkeit in blaugrün (Photos) und klatschnaß vom Regen. Wenn sie sich die nassen Haarsträhnen aus der Stirn schütteln, fliegen blaugrüne Tropfen aufs Objektiv.

Je kitschiger die Ganesha-Figuren, desto höher ist anscheinend der Spaßfaktor. Batteriebetriebene rotierende Scheiben hinter Ganeshas Kopf oder Hand kommen vor. Und das ganze mal wieder zur Abwechslung auf einem alten Orientteppich auf einem Kamelkarren, dessen Zugtier seinen Kopf mit reichlich versteinerter Miene über der johlenden Menge schweben läßt. Und der nächste Wagen hat Ganesha vor einem Tiger-Plakat postiert.

Der Spaß ist unendlich bei den Menschen. Es ist ein Fest des Volkes mit aller Ausgelassenheit, die bis zu diesem Jahr warten mußte, bis der See wieder voll war.

Eine neue Gruppe hat ein ca. 1 m langes dickwandiges schwarzes Eisenrohr dabei, das als mobile Böllerkanone dient. Kracher Marke Eigenbau an die Mündung legen, Lunte an und rein ins Rohr! Kawummmm – inklusive Echo von gegenüber. Eine andere Gang hat ein kleineres Exemplar dabei mit zwei angeschweißten Stützen, tarnfarben angestrichen, auf einem Handkarren montiert, der tagsüber dem Verkauf von gerösteten Erdnüssen dient, doch an Krach können sie es nicht mit dem großen aufnehmen.

Vereinzelt werden Jugendliche mit Maske gesichtet, hauptsächlich Leopardengesichter, doch auch eine verkehrt herum getragene Nikolausmütze (hat er halt mal einen roten Bart und eine weiße Mütze) und Dämonenmasken kommen vor.

Das nächste Kamel ist so lila bestäubt, daß es fast schon als Milka-Werbung durchginge, wenn die mal Schokolade aus Kamelmilch herstellen sollten…

Ganesha kommt selten allein, sein Reittier ist die Ratte, entweder wird sie gleich mit anmodelliert, oder sie kommt als separate Figur und wird natürlich mit im See versenkt.

Udaipur eignet sich wie kaum eine andere Stadt für dieses Fest, wegen der herrlichen Lage an den drei Seen. Im Mumbai wird das Fest ansonsten auch sehr exzessiv gefeiert – Meereslage!

Ein weiterer von einem Kamel gezogener Karren kommt an, auf seiner Ladefläche steht ein lingam-artiges Gebilde aus Ton (vorbildlich, s.u.!) und Sackleinen, auf einer Seite drei fein modellierte Gesichter modelliert. Der Lingam ist umgeben von lauter kleinen Ganeshas und einem Blütenmeer, selbst ist er mit unzähligen Kränzen aus dottergelben Blüten geschmückt.

Wagen mit Schmuck aus Bananenblättern oder ganzen Bananenstauden zur Verbrämung der Pfosten des Aufbaus ziehen vorbei. Ein Wagen hat vor lauter Begeisterung die Kurve am alten dreibogigen Tor nicht richtig gekriegt, die Bambuskonstruktion kollidiert mit dem Bogen, und beim nächsten Anlauf fallen knirschend Marmorbröckchen zu Boden, diesmal hatte der Anhänger nicht weit genug ausgeholt.

Der nächste Wagen bringt einen Papp-Lingam in einer Papp-Yoni, beides recht aufgeweicht durch den Regen, mit Kränzen aus gelben Blüten und „Shivas Tränen“ behängt. Ein Kamel zieht den nächsten Karren mit hohem Aufbau: Ein Eisengehäuse wie ein Vogelbauer ist über Ganesha errichtet, mit ca. 30 gelben 1-2 m langen Blütenschnüren behangen.

Derweil sammelt sich auf der obersten Ghatstufe ein immer weiter anwachsender Haufen von Dingen, die in letzter Minute als nicht zum Verbleib im See bestimmt erklärt werden: Blumenschnüre, Plastik, Räucherstäbchen, Kunststoffschnüre etc. – das durch die Räucherstäbchen verursachte Schwelen wird vom Nieselregen in Schach gehalten. Insbesondere die Ordnungshüter in den unermüdlich an- und ablegenden Booten sorgen mit langen Bambusstöcken dafür, daß nur das an Bord kommt, was von Plastik befreit ist. Und natürlich auch dafür, daß die Menge am Ufer bleibt!

Drei Kinder bringen schwimmend ein Idol in tieferes Wasser, beim Zurückkommen gibt’s gratis einen Schwall Seewasser für die untenstehenden Reihen.

Krasse Menschen sind auf der Plattform des Ghats zu sehen: Da ist ein Mann, nur mit kurzer Hose und einem als Lendenschurz verwendeten T-Shirt bekleidet, der ganz in schreiend kobaltblau angemalt war. Oder der fettleibige Herr in rotem knöchellangen Hemd mit schwarzem Rauschebart und kunterbuntem Turban, wie aus Großmutters Nähkiste zusammengestückelt, mit einem langen, mit vielen breiten Messingringen beschlagenen Stab, barfuß und klatschnaß im Regen stehend. Männer tanzen mit ihrem kleinen Kind, auf ausgestreckten Armen in die Luft gereckt. Oder der würdige Alte mit Silberbart und feinseidenem Turban, mitten im Getümmel, lachend und tanzend wie ein Zwanzigjähriger. Ein zerlumpter Knirps in viel zu großem löchrigen Hemd steppt glückselig auf dem Dach eines Pickups mit einem riesigen Bananenblatt. Und dazu jede Menge hübsche Jungs in bester Stimmung.

Ein netter älterer Herr, mit dem ich ein paar Tage vorher noch in irgendeinem Geschäft knallhart gefeilscht habe, ist total glücklich, mich wiederzusehen, und hält mich von da an auf dem Laufenden, was gerade passiert.

Eine wertvollere Vollplastik wird – einzig beobachteter Fall – nur getaucht und wieder mitgenommen, das geht also auch!

Ein neuer Wagen bringt Ganesha in einer einmaligen Variante: Mit Kobra, selbst auf drei Windungen des Schlangenleibes sitzend, oben bilden 5 Kobraköpfe ein schirmendes Dach. Eine pinkfarbene Alte mit Dreizack schwenkt eine Lampe mit drei Ebenen Funzellichtern, dann geht es ins Wasser. Voller Ungeduld wird das ca. 2 m hohe Ungetüm gleich von der untersten Ghatstufe ins Wasser geworfen – nur ist der See da so flach, daß die Hälfte noch herausragt. Macht nichts, dann wird der See eben mit bloßen Händen über die rausschauenden Teile geschaufelt. Ein Schwimmer bringt schließlich ein Seil von einem Motorboot aus, jetzt kann die Figur weiter zur Seemitte gezogen und endlich versenkt werden.

Erst um 19.30 ist Schluß, ein paar Kokosnüsse dümpeln noch im Wasser, und die Fledermäuse aus den Spalten des alten Tores haben ihr Revier wieder für sich.

Ich verspüre ein großes Gefühl nicht nur des tiefen Erlebens, sondern auch der Dankbarkeit meinen ganzen neuen tausend Freunden gegenüber, die mich an ihrem Fest haben teilnehmen lassen, die so gerne und voller Vergnügen ihre eigene Stimmung auch dem Gast geschenkt haben, denen es ein Bedürfnis war, daß ein Gast nicht nur Beobachter ist, sondern eintaucht in den Trubel aus Ausgelassenheit, und auf diese Weise dafür gesorgt haben, daß auch der Gast etwas von den Segnungen Ganeshas abbekommt.

Ein neuer Monat, Ashvina, hat heute mit seiner dunklen Hälfte begonnen, denn hier geht der Monat von Vollmond zu Vollmond (Purnimantha-Kalender). Die folgenden 15 Tage sind eine Zeit des Gedenkens und der Einkehr, insbesondere des Gedenkens an die, die man verloren hat. Man bereitet bestimmte Opferspeisen zu, und vor allem fängt man in dieser Zeit keine neuen Unternehmungen an.

Ein regelmäßiges Thema des Nachdenkens nach dem Fest ist auch die Tatsache, daß die Umwelt jedes Jahr aufs Neue einen hohen Preis für das Glück der Menschen zahlen muß. Die Statuen sind weit davon entfernt, aus naturverträglichen Materialien hergestellt zu sein. Das Material Gips braucht sehr lange, um sich zu verteilen, und überzieht den empfindlichen Seeboden mit einer undurchlässigen Schicht. Indische Umweltschützer fordern die Verwendung des verträglicheren Materials Ton, was aber in der Praxis an dem wesentlich höheren Preis scheitert. Noch bedenklicher sind die Farben, die meist auf der Basis von Schwermetallsalzen (Hg, As, Ni, Cd, Cr, Pb etc.) sind. Pro Idol werden ca. 5 kg Farbpulver als Verbrauchsmaterial veranschlagt (Bemalung und Wurfmaterial). Auch hier verhindert der Preis ein „grüneres“ Ganapati-Fest: Ca. ein Viertel des ohnehin hohen Preises für ein Idol geht für Farbe drauf, da ist kein Spielraum für die Verwendung von teuren Pflanzenfarben. Ein größeres Idol von ca. 2 m Höhe kostet locker 35000-40000 Rupees, also ein 3-4faches Monatsgehalt eines Arztes. Den Herstellern von Idolen ist das Problem wohlbekannt, doch zwingt sie der Preisdruck, gegen besseres Wissen zu handeln. Der großzügige Eintrag von Pigmenten führt zu einer Sauerstoffverarmung der Gewässer, weil fast alles einfallende Licht von den dispergierten Pigmenten absorbiert wird. Am Kankavia-See bei Ahmedabad trieben am nächsten Tag die Fische mit dem Bauch nach oben im leblosen Wasser, nachdem 2000 Idole versenkt worden waren. In Udaipur handelte es sich jetzt „nur“ um ein paar Hundert kleine und ca. 50-70 große Götterbilder, aber die Zahlen von Mumbai aus dem Jahre 2005 geben zu denken:

Insgesamt gab es 8000 Ganesha-Mandals. Es wurden 118000 Götterbilder in den verschiedensten Gewässern versenkt, davon 8000 große (> 4 Fuß) und 110000 kleinere. 200 Figuren davon waren sogar größer als 15 Fuß. Allein am letzten Tag waren es 5400 große und 31200 kleine Figuren. Für ganz Indien überschlagen ergeben sich ca. 500 t Giftfracht, die an Metallsalzen aus Farben jedes Jahr an Ganapati in Flüsse, Meere und Seen gekippt werden, Tendenz steigend. Der Ruf „Komm nächstes Jahr wieder!“, mit dem die Versenkungen begleitet werden, könnte eine makabre Zweitbedeutung eines ökologischen Bumerangs erhalten. Wo wir gerade bei den Zahlen sind, gut unterrichtete Kreise sprechen von 40 Tonnen Süßigkeiten und 60 Tonnen Blumen, die während des zehntägigen Festes in Mumbai verbraucht wurden.

Solange sich die einzelnen Gruppen noch gegenseitig im Stil von „größer-greller-kostbarer“ übertreffen suchen, und „kostbar“ nicht mit dem teuren Ton oder teuren Pflanzenfarben, sondern mit metallisch schimmernden Farben, batteriebetriebenen rotierenden Scheiben etc. gleichgesetzt wird, ist ein Umdenken noch in weiter Ferne und haben Indiens Umweltschützer einen schweren Stand. Und man mag eben nicht einen „grünen“, kleinen braunen Ganesha haben, wenn der Nachbar mit einem Mega-Bildnis mit Schweinchenrosa, Gold und Silber auftrumpft, einfach allzu menschlich. Und wenn man die fröhlichen Menschen am Ghat sieht, deren Augen vor Glück und Übermut strahlen, begreift man, wie groß die Aufgabe ist, hier etwas zu ändern.

Rein rituell gesehen ist der Verbleib des Idoles nach der Versenkung im See eigentlich gar nicht nötig. Dem Ritus wäre vollauf Genüge geleistet, wenn ein dauerhafteres Bild verwendet, versenkt, wieder herausgefischt und nächstes Jahr wiederverwendet würde. Nichts würde dem aus religiöser Sicht entgegenstehen.

Ganesha ist für alle ein Quell der Hoffnung auf gute Erfolge und Vertrauensspender für geplante Unternehmungen. Bleibt zu hoffen, daß Ganesha auch der Gott des Erfolges für Indiens Umweltschützer ist, denn Freude am ausgelassenen Fest und Erhalt der einzigartigen Seen von Udaipur müssen sich bei Verwendung naturverträglicher Materialien nicht widersprechen. In diesem Sinne schließe ich mich den Bitten an: „Ganpati bappa morya, phudlya varshi lavkar ya! - Vater Ganpati, komm nächstes Jahr wieder!“

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Ganpati-Fest in Udaipur: Eine tausendfache Versenkung des elefantenköpfigen Gottes
Photos: Türkis - Trendfarbe für einen Tag
Photos: Letzte Riten für Ganesha
Photos: Ein Bad für die Ganesha-Figuren
Photos: Per Boot zur letzten Reise
Photos: Wehende Tücher und tanzende Frauen (1)
Photos: Wehende Tücher und tanzende Frauen (2)
Photos: Geschmückte Pferde
Photos: Hübsche Jungs mit viel Spaß
Photos: Ganesha-Figuren (1)
Photos: Ganesha-Figuren (2)
Photos: Coole Jungs und viel rote Farbe
Photos: Ganeshas fröhliches Geleit
Photos: Trommelrhythmen am Seeufer
Photos: Ausgelassene Tänze am Seeufer
Photos: Regen und rotes Farbpulver
Photos: Spaß auf der Straße (1)
Photos: Spaß auf der Straße (2)
Photos: Verteilen von Speisen

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© Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2005
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