Bernhard Peter
Feste Indiens: Jal Julni Gharas Bhadavhi
Ein Bad für die Götterbilder in Udaipur

Udaipur, 14.9.2005
Den ganzen Tag über hatte sich schon etwas Besonderes angekündigt. Wahre Menschenmaßen waren unterwegs zum Jagdish-Tempe in Udaipurl, prächtigste Farbkombinationen waren in nicht enden wollender Prozession den Weg hinauf bzw. hinab auf den zur Tempelplattform führenden Stufen. Weißmarmorne Stufen bilden den dezenten Hintergrund für leuchtende Farben, am liebsten leuchtende Gelb-, Orange- und Rottöne, manchmal auch das extrem intensive Dunkelrot der Rajputentrachten.

Wie zu einer Modenschau klettern die bunten Tücher auf der einen Seite hinauf und auf der anderen Treppe wieder hinunter (Photogalerie), malerisch vor der Silhouette des Tempels gestaffelt. Hübsche Gesichter, verschämte, schüchterne, verhutzelte, hoffnungsvolle, vertrocknete, glückliche, abgehärmte, von wehenden Tüchern verhüllte, man quetscht sich an den Rand und läßt den optischen Querschnitt der Gesellschaft Udaipurs an sich vorüberziehen wie in einem nicht enden wollenden Film. Arme, die bis zum Ellenbogen in Armreifen aus Knochen stecken, schwere silberne Fußreifen, goldene Nasenringe, die so schwer sind, daß sie schon große Löcher in den Nasenflügel gezogen haben und mit einem Bindfaden zum Ohr abgespannt werden, die Vielfalt der Gestalten ist unendlich.

Die Zahl der Frauen am Fuße der Treppe, die bunte Blüten und gelbe Blütenschnüre verkaufen (Photogalerie), hatte sich auf einmal vervierfacht im Gegensatz zu sonst. Zwischen den abgestellten Rikshaws und Mopeds sitzen sie am Fuße der Treppe und machen an diesem Tage einen solchen Umsatz, daß sie es gar nicht nötig haben, einen Ausländer auch nur eines Blickes zu würdigen, den sie unter normalen Umständen mindestens 10 m mit „Cheap – for you – please buy – only 10 Rupees“ verfolgt hätten.

Und gleich vier Sadhus hatten es sich auf den Plattformen entlang der Treppe bequem gemacht (Photogalerie). Einer davon wie eine indische Interpretation von Spitzwegs armem Poeten: An die Mauer gelehnt, mit einer windschiefen Brille ältester Bauart, vor sich auf einer Matte ausgebreitet seine wenigen Habseligkeiten und religiöse Utensilien, über sich einen Regenschirm befestigt, mit leerem Blick auf den nicht enden wollenden Strom der Frauen auf der Treppe schauend. Bedauernswert in seiner minimalistischen Existenzweise, zugleich unbesiegbar in seiner erhabenen Bescheidenheit, auf seiner Plattform hoch über dem Gewühl und den Abgasen der alten Gasse thronend, das ewige Gehupe unter sich mit stoischem Gleichmut überhörend.

Zwei andere Sadhus haben es sich unter den Figuren seitlich des Eingangs bequem gemacht, geben der Szene noch mehr optische und geruchliche Vielfalt und freuen sich über kleine Zuwendungen der Gläubigen. Die fließen heute dank des angeschwollenen Besucherstromes so reichlich, daß auch sie heute nicht darauf aus sind, den Touristen für ein paar Rupien vor der Kamera zu posieren, was in der Saison eine wichtige Einnahmequelle sein dürfte.

Gegen Abend (ca. 17.30) weist laute Musik den Weg zum Gangaur Ghat hinunter. Das Gedränge in der alten Straße mit den schönen Havelis mit ihren Erkern und Bogenfenstern wird immer dichter, die Menge immer aufgeregter. Unten am Ghat hat sich eine unglaubliche Menschenmenge versammelt (Photogalerie), die Stufen zum Wasser und die Plattform zwischen Stufen und Wassertor sind gerammelt voll, ebenso die Mauern des angrenzenden Tempels. Ein großes triumphbogenartiges Tor mit drei gleich hohen Torbögen und vielen Erkerchen bildet das Tor der Stadt zum Wasser, dahinter öffnet sich eine große Plattform, im Rücken von einem wunderschönen alten Haveli begrenzt, welches heute als Museum dient. Zum See hinunter führen viele Stufen, gegenüber wird die Bucht begrenzt von weiteren schönen alten Havelis und Tempeln, links grüßt aus dem Hauptsee das Seepalasthotel wie ein beleuchteter Ozeandampfer.

Die Szene ist vor allem eine Farbenpracht ohnegleichen – bunte Saris, bunte Turbane, jede Art von Kleidung von traditionell bis ultramodern. Zum Glück ist der Platz zwischen Tor und Stufen groß, aber dennoch schwappt die Menschenmenge über, über die angrenzenden mauern, Geländer, Gebäude, und vor allem schwappt die Menschenmenge immer mal wieder in den See, denn selbst das Wasser ist voller Menschen, die ein Bad nehmen, wobei die Grenze zwischen Spaß und Ritus fließend ist. Da es ein heißer Nachmittag war, nehmen die meisten männlichen Teenager gleich ein Bad mit allen Klamotten.

Und dann kommen die Schreine (Photogalerie). Kommen ist zuwenig gesagt. Über dem wogenden Menschenmeer schaukeln sie hoch über den Köpfen wie übertakelte Karavellen in schwerer See. Getragen von vielen Menschen, von denen jeder einzelne seinen Schritt und seine festliche Begeisterung mit einbringt – wenn ich das Götterbild wäre, Mann, wäre mir schlecht.

Es ist Jal Julni Gharas Bhadavhi (gesprochen etwa „Dschal Dschulni Garas Badvi“), das bedeutet wörtlich „Wasser-Schaukeln-11-Bhadvi“. Bhadvhi (oder Bhadrapada) ist der Monat, und im Wasser geschaukelt werden an diesem Vishnu-Fest die Götterbilder aus den Tempeln. Die 11 ist relativ, denn im indischen Mondkalender zählt man zweimal im Monat von 1 bis 14 oder 15, einmal in der hellen Monatshälfte (Shukla) bei zunehmendem Mond, einmal in der dunklen (Krishna) Monatshälfte, wo der Mond abnimmt. Jetzt befinden wir uns in der Phase zunehmenden Mondes, genau genommen ist es also Bhadrapada Shukla 11. Warum nicht einfach 14. September? Weil dieser Tag ausschließlich im Jahre 2005 auf den 14. September fällt, denn die hinduistischen Festtage werden nach dem traditionellen Mondkalender berechnet und verschieben sich jedes Jahr. Details sind in dem Kapitel „Indische Kalender“ oder „Feste“ zu finden.

Zu lauter Musik aus unterschiedlichsten Quellen werden die Schreine zum Wasser getragen, während das Ohr die Instrumente sortiert: Dort eine tellergroße Messingscheibe als Gong, hier ein Tamburin, und neben dem Schrein bläst ein junger Mann ein Muschelhorn, ein Schneckengehäuse. Sobald ein Schrein zur Plattform am Wasser gelangt, wird eine Gasse freigedrängelt, damit er bis ans Wasser selbst die Stufen herunter getragen werden kann. Dabei geht es wild zu und vor allem bunt (Photogalerie).

Die Schreine sind auf zwei Tragestangen montiert, die vier Personen auf den Schultern tragen. Sie haben dazu noch krückstockartige Auflegepfosten, um zwischendrin den Schrein auf ihnen ruhen lassen zu können. Der Schrein selbst ist ein versilbertes Glitzerding mit vier Pfosten und Baldachin, in dem das Götter-Bildnis inmitten eines Blütenmeeres liegt. Girlanden aus gelben Blüten sind reihum aufgehängt und schwanken bei jedem Schritt mit. Zwischen den Tragstangen ist ein Tuch gespannt, in dem sich allerlei Obst und Wurfmaterial befindet. Meist bleibt es aber nicht bei den vier Trägern, sondern ein Schrein wird immer von Gruppen von 10-20 Personen gebracht. Einer läutet eine Handglocke, einer bläst ein Muschelhorn, andere schaffen eine Gasse im Gedränge, zwei weitere fächeln dem Bildnis mit rosa Wedeln Luft zu.

Die wichtigsten Begleiter sind aber die, die dafür sorgen, daß es bunt zugeht: Sie werfen mit Wasser, mit Rosenblüten und vor allem mit rotem und violettem Farbpulver. Selbst ist die Begleitmannschaft schon bis zur Unkenntlichkeit eingestäubt, jetzt geht es in die Menge (Photogalerie). Rot – das ist die Farbe der Freude. Händeweise rotes Farbpulver wird einfach in die Luft geworfen, so daß ein roter Nebel den Marsch zum Wasser begleitet. Oder, und das noch lieber, werden gezielt händeweise rotes Farbpulver auf andere Leute (Frauen meist ausgenommen!) geworfen. Nach einer Stunde immer neuer Tragschreine ist fast jeder, der in die Nähe der Schreine kommt, von rotem Farbpulver eingestäubt, das sich mit Schweiß und verspritztem Seewasser mischt und in Bächen die Gesichter herunterläuft. Vor allem erwischt es natürlich Leute mit ehemals strahlend weißer Kleidung, Brahmanen in Weiß mit orangefarbener Schärpe, beturbante Alte, selbst die Ordnungshüter in Khaki müssen sich eine farblich interessante Note ihrer Dienstkleidung gefallen lassen. Alle tragen Spuren des exzessiven Gebrauchs von Farbpulver. Die meisten Teens und Twens machen es einfach: Ein Sprung mit allen Klamotten in den See, schon ist man halbwegs wieder sauber, und der Spaßfaktor ist noch größer.

Dann wird ausgelassen zu Musik oder einfach Trommelrhythmen getanzt, klatschnasse bildschöne junge Menschen, deren nasse ärmellose T-Shirts und modisch engen Jeans jeden einzelnen Muskel der schlanken Körper betonen, eine Augenweide! Nasse schwarze Haarsträhnen wippen in schweißnasse hübsche und bunte Gesichter, während die Jungs zu den Trommelrhythmen zucken und dabei alle Unbill ihres gewiß nicht einfachen Alltags vergessen. Dieses Ausgelassensein ist auch ein Ventil, einfach alles vergessen und abzappeln. Und hier, abseits vom rauhen Alltag, wo die Gesichter vor Freude und Vergnügen erstrahlen, wird einem unendlich bewußt, wie schön diese Menschen sind. Dazwischen Alte mit Dhoti (Wickeltuch um die Beine, das verknotet gewisse Ähnlichkeiten mit einer würdig getragenen Pampers hat) und Turban, alle vereint in Feierstimmung. Schweiß mischt sich mit Seewasser, und neues Farbpulver regnet von oben in die Menge. Und unaufhörlich tuten dazu die Muschelhörner, Trommeln überziehen Platz und Straße mit Rhythmus.

Inzwischen ist es dunkel geworden, improvisierte Strahler erhellen den Platz. Neuankömmlinge unterbrechen den Zug der Schreine: Zwei Reiter auf prächtig herausgeputzten weißen Pferden, in der Rechten eine ca. 2 m lange Stange mit flatterndem dreieckigen orangefarbenem Wimpel. Der erste mit einem prächtigen roten Turban mit goldener Zierlitze, anscheinend die gegenwärtige lokale Größe und sein Sohn. Sie reiten in den Hof des angrenzenden Museums, gefolgt von kuriosen Gefährten. Nach dem allgemeinen Shakehands geht es zum Ghat, und nach einer halben Stunde kommt er nach dem Bad in der Menge genauso bekleckert wie alle anderen wieder, blutrotes Pulver überall auf der weißen Kleidung.

Seine Begleitung besteht noch aus zwei von jeweils einem Kamel gezogenen Wagen und einem Handkarren auf vier Speichenrädern. In den Kamelkarren sitzen jeweils acht Kinder, fein herausgeputzt. Die Mädchen als Prinzessinnen in orangefarbenen Gewändern mit goldenen Litzen und Einfassungen, glitzerbestickten Blusen, goldenen Kronen, ca. 10-12 Jahre alte Märchenprinzessinnen. Die Jungen sind in Kaftane gekleidet aus orangegemustertem Stoff, schwarz-weiß-gesäumt, alle tragen eine asymmetrische Mütze auf dem Kopf mit seitlich herunterhängender roter Seidenschärpe. Die Prinzessinnen haben einen gold beklebten Bogen in den Händen. Mit an Bord sind auch dunkel-blaugrau geschminkte Gestalten. Die Begleitung bleibt an Bord und freut sich, einmal Touristen hautnah erleben zu können, wer wen am meisten bestaunt, ist unklar. Jeder der Kleinen will dem Touristen die Hand schütteln, und wenn es nach denen gegangen wäre, wäre ich in dem Wagen mit zurückgefahren, um mich noch ein bißchen bestaunen und ausfragen zu können (auch wenn es immer die selben drei Fragen sind, aber von jedem einzelnen Kind mehrfach gestellt, sind es insgesamt ganz schön viele Fragen). Der Handkarren trägt einen ratternden und stotternden Generator für die Stromversorgung der Glühbirnen auf den anderen beiden Wagen, er wird hinter den Kamelkarren her geschoben.

Kleine Jungs wirbeln mit Stöcken und daran befestigten Bändern. Ein Brahmane geht reihum und drückt den Leuten rote Farbkleckse auf die Stirn. Jugendliche kommen in Gruppen mit Transparenten, schwingen Stöcke und skandieren Slogans. Getanzt wird zu Trommelrhythmen. Ein Handkarren mit Trommeln jeglicher Bauart wird die Straße entlang geschoben, während die von Schweiß und Seewasser triefenden Jungs wilde Takte klopfen und die Menge immer ekstatischer wird (Photogalerie).

Und immer wieder bahnt das Geläute von Handglocken neuen Schreinen den Weg zum Wasser. zeremonielle Wedel werden rechts und links hinter dem Schrein geschwungen. Es geht die Treppenstufen des Ghats hinunter bis auf die unterste, von Wasser überspülte Stufe. Dort wird die Trage mit dem Schrein ins kühle Naß leicht schaukelnd eingestellt. Zum Tönen eines flachen Scheibengongs wird das Götterbild gebadet. Eine Schale mit Blüten und Öllampe mit mehreren Dochten wird vor dem Götterbildnis geschwenkt. Dann wird die triefende Trage aus dem Wasser genommen und die Stufen wieder hochgetragen. Die Flamme wird herumgereicht, jeder ist begierig darauf, seine Rechte kurz über die Flammen zu halten und anschließend zur Stirn zu führen.

Ich bin inmitten des Orkans aus Farbpulver, Trommeln, tanzenden nassen Gestalten und schwitzenden Schreinträgern. Und immer wieder hüllt einen roter Nebel ein. Und die Badenden spritzen natürlich die aufgeheizte Menge mit Seewasser naß.

Lautsprecherwagen versorgen die Menge mit Musik. Phantasievoll verkleidete Gestelle auf Rädern, mit 4 Pfauen oder 2 Pfauen und 2 Schwänen aus Sperrholz seitlich verkleidet, innendrin ein Generator, oben 4-6 blecherne Lautsprecher.

Vor den Schreinen brennen ganze Büschel Räucherstäbchen. So schwanken sie in den verwinkelten Straßen der Altstadt zwischen den alten Häusern, begleitet von rhythmischem Klatschen, Muschelhornblasen, Tamburinen, Trommeln jeder Größe und Bauart und viel Spaß. Blaue Farbe mischt sich unter die rote und verleiht dem Fest eine neue Note. Und wieder knirscht eine neue Ladung zwischen den Zähnen.

Und ein Ausländer, der nach seinem Aussehen zu urteilen genauso viel Spaß an dem Fest hat wie die Inder selbst, wird von diesen immer wieder in die Menge gezogen, wo es am heißesten zugeht, um den Spaß für alle noch zu erhöhen.

Jungs mit meterlangen Majorettenstäben ziehen wirbelnd die Straße entlang. Verschiedene einheitlich in phantasievolle Uniformen gehüllte Blaskapellen vergrößern die Kakophonie am Seeufer.

Ein neuer Schrein kommt an. Er wird im Wasser abgestellt. Ein Sprecher in weiß/orange ruft Slogans, die die begleitende Menge begeistert nachskandiert. Ausgerüstet ist die Begleitmannschaft mit Säbeln (echt, aber recht stumpf), die sie zum Skandieren in die Luft recken. Das Obst aus der Trage wird ins Wasser geworfen, zum Spaß der Menge nimmt man sich dabei auch mal gezielt die Schwimmer zum Opfer, wenn es nicht gerade eine Kokosnuß ist. Wieder wird nachskandiert, was der Brahmanenpriester ruft. Die Junge baden neben dem Schrein und spritzen dabei alles naß. Das Schwenken der Öllampe wird von rhythmischem Klatschen der Menge begleitet, wieder wird die Funzel herumgereicht, damit jeder seine Hand darüber halten kann (Photogalerie). Dann wird der triefende Schrein aufgenommen, von hinten fliegt noch ein Schwall Seewasser nach.

Die lustigste Begegnung des Abends hatte ich mit einem Polizisten, der nach dem Austausch der üblichen Floskeln (what’s your name, which country, do you like India, do you enjoy the festival, where do you stay...) allen Ernstes fragte, ob die Kultur in Deutschland und in Indien sich voneinander unterscheiden würden... – Well, a tiny little bit.

Andererseits – wie würde ein Inder wohl einen Rosenmontagszug beschreiben, wenn er ihn das erste Mal unvorbereitet sähe? Vielleicht ist der Unterschied doch nicht so groß, wie wir meinen...

Ein Jeep fährt auf die Plattform bis nahe an die Stufen des Ghats. Auf dem Dach ist ein Schrein befestigt, dahinter sitzen drei kleine Jungs, einer davon bläst ständig ein Muschelhorn. Mehrere Lampenbäume mit je neun Glühbirnen werden zusammen mit einem Generator-Handkarren auf die Plattform gefahren. Bunte Glühbirnen erleuchten den Schrein auf dem Dach. Ein Brahmane in weiß/orangefarbener Gewandung steigt auf die Kühlerhaube und wirft von da aus Kokosnüsse als Opfer ins Wasser. Im Fond sitzen Kinder und schlagen Gongs. Kracher gehen am anderen Ufer des Sees los. Der Brahmane bereitet zu dieser Kakophonie auf der Motorhaube stehend das Opfer vor, während ein Begleiter ein Bündel Räucherstäbchen schwenkt und ein anderer, wie ein Sadhu aussehender, dabei eine Stange mit einem Schirm hochreckt, auf dem das Symbol der Mewar-Dynastie, das mit Schnurrbart versehene Männergesicht in der Sonne, eingestickt ist. Der Brahmane schwenkt ein Schneckengehäuse voll heiligem Wasser vor dem Götterbild, nach jeder Umkreisung etwas Wasser auf die Schalen mit Blumen und anderen Opfergaben vergießend. Danach wird wieder die Öllampe geschwenkt, mit rosa Wedeln gefächelt, danach wird die Lampe zum See hin geschwenkt, eine phantastische Erscheinung, dieser würdige Priester auf der Motorhaube stehend, mit ernster Miene die sechs züngelnden Flämmchen in Richtung auf den nachtschwarzen See schwenkend.

Ein zweiter Jeep fährt auf die Plattform und stoppt erst vor der obersten Stufe des Ghats. Auf der Kühlerhaube ist ein ca. 70 cm hoher, schwarzer Lingam in einer ca. 1 m Durchmesser messenden Yoni festgebunden, mit vielen glimmenden Räucherstäbchen. Auf dem Dach ist ein großes Spruchband befestigt. An den Stufen werden ähnliche Riten wie eben beschrieben vollzogen.

Mehrere Kamele kommen an, deren Reiter jeweils große, mit Schriftzeilen modifizierte Indien-Flaggen schwenken, die ebenfalls zum See getragen werden.

Auf der Straße bildet sich jetzt eine Prozession, die durch die Stadt zieht. Wagen mit Spruchbändern, mit einer Art Wappentafel mit verschiedenen Emblemen, übergroßen Bildnissen und vor allem Götterbildern wie auf Karnevalswagen montiert, ziehen vorbei. Shiva, Ganesha, Parvati, alle wichtigen Götter des Hinduismus ziehen als mehr oder weniger süßlich-kitschiges Abbild durch die Stadt und haben Teil an dem Spaß. Immer wieder verheddern sich die übergroßen Tafeln in Chaos der oberirdisch verlegten Strom- und Telefon-Leitungen, Helfer mit langen Stangen mit Querholz sorgen dann wieder für Ordnung in den chaotischen Oberleitungen.

Zwei Feuerjongleure wirbeln ca. 1 m lange Stäbe mit Feuerkugeln an den Enden, daß die Funken fliegen. Fahnengruppen, Trommlergruppen und einheitlich gekleidete Menschengruppen begleiten die auf den Wagen montierten überlebensgroßen Plastikgötter, fast jeder will dem rotbeklecksten Ausländer die Hand schütteln, es ist echt anstrengend!

Ein Traktor folgt, auf der Motorhaube eine silberne vierspännige Kutsche montiert, die über und über mit rot leuchtenden Lichterketten behangen ist. Hinter dem Fahrerhäuschen erhebt sich ein riesiges Plakat mit dem Konterfei von wem auch immer, das sich prompt wieder in den Telefonleitungen verheddert und freigemacht werden muß.

Schulklassen und Studentengruppen ziehen vorbei, die Jungs meistens in strahlendem Weiß (bei dem Umzug wird keine Farbe mehr geworfen), alle freuen sich über den bunt gemusterten Ausländer und laden ihn unwiderstehlich handgreiflich zum erneuten Bad in der Menge ein, ich habe noch nie so viele Hände geschüttelt wie an diesem Abend. Getrennt folgen die Mädchengruppen, entweder in traditioneller dreiteiliger Rajasthani-Tracht (Rock-Tuch, kurze enge Bluse, Schal-Tuch) oder modern mit weiter Hose und lang fallendem geschlitzten Überkleid, oft mit einheitlichem kurzen Schaltuch, z. B. weiß auf blau abgesetzt.

Besonders beeindruckend eine Gruppe von sechs Stocktänzerinnen, die zu einer Trommelgruppe tanzen und zu einer wirbelnden Choreographie immer wieder im richtigen Augenblick die Stöcke ihrer Gegenüber treffen.

Schließlich verebbt auch diese Prozession, es ist für indische Verhältnisse spät geworden. Indisches Nachtleben ist eigentlich außerhalb der westlich orientierten Großstädte unbekannt. Man schwatzt noch ein bißchen und geht zu Bett, für deutsche Verhältnisse unglaublich früh.

Am nächsten Morgen wurde ich wie üblich von dem rhythmischen Klopfen und Schlagen der waschenden Frauen auf den Stufen des Ghats unter mir wach. Auf den Stufen wird die Wäsche eingeseift, was das Zeug hält, und dann wird das schaumig-weiße Etwas mit der einen Hand gewendet und mit der andern mittels eines Schlagbrettes bearbeitet. Und irgendwie hatte ich den Eindruck, das Klopfen war an diesem Morgen intensiver als sonst...

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