Bernhard Peter
Hijras (Transsexuelle) in Indien

Hijras - Transsexuelle
Eine besondere Rolle haben Hijras (Transsexuelle). Hijras sind Männer, die sich wie Frauen geben. Unter Hijras sind keine Frauen, die sich als Männer fühlen. Die Hijras sind entweder Hermaphroditen oder Männer, die sich mit einer männlichen Geschlechtsposition nicht identifizieren können. Sie präsentieren sich weiblich, tragen Saris und nehmen Frauennamen an. Viele sind operiert. Hijras sind in der Regel nicht schwul. Von vielen Außenstehenden, und in jedem Fall von anderen Hijras, werden sie mit weiblichen Vornamen angesprochen. Ehen zwischen Hijras und Männern sind sozial akzeptiert, sexuelle Beziehungen zu Frauen dagegen sind verpönt. Hijras beanspruchen das Privileg, bei Hochzeiten und Geburten zu tanzen (Badhai-Feste) und zu betteln. In Indien gibt es schätzungsweise 1.5 Mio Hijras, in Mumbai allein 50 000 - 100 000. Offizielle Zahlen gibt es nicht, weil man sich nach indischer Gesetzgebung entweder als Mann oder als Frau zu registrieren hat.

Das Dritte Geschlecht
Nach einigen Überlieferungen wird das „dritte Geschlecht“ (Tritiya Prakriti) als für das Gleichgewicht der Welt notwendig gehalten. Transsexuelle galten hierbei aufgrund ihrer Ambiguität als Mittler zwischen der Macht der Götter und den Menschen. Sie standen zwar außerhalb der traditionellen Ordnung, doch verfügten sie über Mächte, die Normalsterblichen versagt waren. Weder Mann noch Frau, sind sie auf spiritueller Ebene Mann plus Frau, ein alternatives Geschlecht.

Geschichte
Im Ramayana wird schon das dritte Geschlecht erwähnt. Rama trifft eine Gruppe von ihnen nach seiner Rückkehr nach Ayodhya. Er segnet sie und sagt, daß sie Könige der Welt werden würden. Hijras werden im 4. Jh. erstmalig erwähnt. Doch ihre große Zeit kommt später, zur Zeit der muslimischen Moghulherrscher, wo sie als Eunuchen eine wichtige Rolle als Hofbedienstete innehatten und z. T. sehr einflußreich wurden. In den Dörfern hatten Hijras verbriefte Rechte, unter anderem auf eigenes Land. Erst unter der britischen Besatzung kam es zu einer Beschneidung ihrer Rechte. 1852 wurde von den Engländern ein Gesetz erlassen, nach dem nur leibliche Söhne erben durften. Damit fiel das sog. Inam-Land der Hijras an die Engländer, riesige Territorien wurden so eingezogen. Das Ziel war ein klares politisches: Hijras waren den Engländern weit mehr ein "moralisches Ärgernis" als den Indern, sie sollten durch die Enteignung wirtschaftlich geschwächt und unterdrückt werden.

Eine eigene Göttin für Transvestiten
Ihre Göttin ist Bahuchara. Sie stammt aus der Botenkaste Charan und wurde zur Dämonin. Ihr Haupttempel liegt bei Ahmedabad in Gujarat. Ihr Reittier ist der Hahn (keine äußeren Genitalien). Sie ruft nicht nur Männer dazu auf, als Transvestiten zu leben, sondern sie ist auch die kinderlose Muttergöttin (Bahuchara Mata), welche die lüsternen und räuberischen Übergriffe der Männer mit brutaler Magie und Kastrationen zurückgeschlagen hat. Auch ein impotenter Mann ist automatisch ein Anhänger dieser Göttin.

Warum wird man Hijra?
Hijras kommen mehr oder weniger freiwillig zu der Gemeinschaft. Durch die andersartigen Gefühle leiden sie nicht nur selber unter großem sozialen Druck in den Dörfern, sondern auch ihre Familien stehen dadurch außerhalb der Norm, was nachteilige Folgen für das Ansehen der Eltern und die Heiratschancen der Geschwister haben kann. Aus diesen Gründen hilft häufig auch die Familie eines Hijra nach, sprich: Wirft ihn hinaus, um nicht die Familie "zu verderben". Nur manchmal spielen homoerotische Gefühle eine Rolle.

Die Organisation der Hijras
Hijras sind eigentlich keine Kaste, weil es im Wesen einer Kaste liegt, daß man in sie hineingeboren wird. Andererseits treffen viele Merkmale einer Kaste wie das Vorhandensein eines Ältestenrates und eigene Rituale auf die Gemeinschaft der Hijras zu. Manchmal werden sie als "halbe Kaste" gezählt.
Die Hijras sind eine indienweite Organisation, die in 15-18 "Königreiche" und 7 "Häuser " eingeteilt ist. Dabei sind "Königreiche" geographische Gebiete und "Häuser" eine Art Clans mit eigenem Namen. Jedem Haus steht eine Rani (ein Nayak) vor, sie ist quasi die Jurisdiktion des Gemeinwesens, sie hat das Recht über Leben und Tod und hat eine Art interne Gerichtsbarkeit inne. Dazu hat jedes Haus einen Panchajat oder Panyajat, einen Ältestenrat nach Kastenvorbild. Er berät die Rani und ist die Legislative des Gemeinwesens. Es verstößt gegen den Kodex, Probleme mit der Polizei zu regeln, alles wird über den Ältestenrat abgewickelt.

Wie wird man Hijra?
Um in die Gemeinschaft eintreten zu können, schließt man sich als Chela (Schülerin) einem Guru an. Ein Guru hat meist mehrere Schülerinnen. Die Annahme eines neuen Mitlieds als Schülerin muß durch den Ältestenrat genehmigt werden. Wenn das geschehen ist, gelobt er/sie dem Guru Gehorsam. Der Guru wird Verwalter ihres Besitzes. Die Hijras fühlen sich wie eine Familie, wobei der Guru die Rolle der Mutter spielt und die anderen Chelas wie Schwestern für die neue Chela sind. Während einer Probezeit erlernen die Schülerinnen Tanz und Gesänge und werden in das Leben als Transvestit eingeführt. Nach der Probezeit erfolgt oft die Operation, die Nirvan genannt wird und als Wiedergeburt gesehen wird, in der eine Frau mit der Kraft der Göttin entsteht.

Vorbild Arjuna
Für Hijras ist Arjuna eine Identifikationsgestalt, weil er auf dem Weg zur himmlischen Stadt Amravati von der Nymphe Urvanshi begehrt wird, sich ihr aber verweigert, weil sie schon Geliebte seines Vaters Indra war, woraufhin die gekränkte Nymphe ihn zu einem Eunuchendasein verflucht.

Wie sehen die Inder die Hijras?
Inder sehen Hijras gemeinhin als schmutzig an, als Drop-outs der Gesellschaft. Sie wissen, daß Hijras zu Hochzeiten und Geburtsfeierlichkeiten kommen und tanzen und das Recht haben, dort bettelnd aufzutreten. Mehr nolens als volens gibt man ihnen Spenden, weil man Angst davor hat, daß die Hijras ihren Sari heben könnten und den Blick auf verstümmelte Geschechtsorgane freigeben könnten, wenn man ihnen zu wenig Geld gibt, was Unglück bringen soll und sich negativ auf die eigene Fruchtbarkeit auswirken soll. Das Auftreten von Hijras anläßlich von solchen Familienfeiern wird heute von wohlhabenderen Schichten eher abgelehnt.

Wovon leben die Hijras?
Drei Einkommensquellen sichern das Überleben der Hijra-Gemeinschaft: Singen und Tanzen bei Hochzeiten und Geburtsfeiern (Badhai), Betteln (Basti) und Prostitution (Pun).

Viele Namen für die Hijras:
Alternative Bezeichnungen sind: Khwaja Sara, Mukkanuath (Eunuch, offizielle Bezeichnung), Kinnata, Moorath, Zenara (die, die zu den Frauengeächern Zugang hatten), Khansa (wörtlich aus dem Arabischen "dazwischen"), Pavaijo, Khusra (in Pakistan), Fatade, Bhand, Chakka u.v.a.m.

Weitere Transgender-Varianten
Auch Jogdas sind eine Form des Transgender-Lebens in Indien. Es gibt Jogappa und Jogamma. Jogappa sind Männer mit starker Weiblichkeit. Sie tragen Frauenkleider und nehmen weibliche Namen an. Im Gegensatz zu Hijras sind sie untereinander sexuell aktiv. Sie dürfen sich nicht rasieren, sondern den Bart nur auszupfen. An den Ghats haben sie eigene Badeplätze, weder bei den Männern noch bei den Frauen. Jogappas kommen auch zu Hochzeiten und Geburtsfeierlichkeiten zum Tanzen und Betteln. Jogammas sind Frauen mit starker Männlichkeit, sie leben sexuell enthaltsam. Sie ziehen umher und singen zu Ehren Jellammas. Ihrer beider Göttin ist Jellamma (auch: Renuka). Ihr Haupttempel ist in Saundatta in Karnataka. Alis sind eine weitere südindische Transgender-Gruppe in der Region Madras. Sadhins sind weibliche, aber asketische und asexuelle Wesen, die männliche Tätigkeiten ausführen können.

Literaturtip: Das Buch von Eva Fels "Auf der Suche nach dem dritten Geschlecht", erschien im März 2005 im Promedia - Verlag, Wien, ISBN 3-85371-233-9.

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© Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2005
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