Bernhard Peter
Gift der Gifte: Das Botulinum-Toxin

Abb.: 3D-Raumstruktur des Botulinum Neurotoxins Typ A, PDB-ID 3BTA, visualisiert mit Chimera. Gelb die Sekundärstruktur.

Botulismus - keine Infektion, sondern eine Vergiftung
Botulismus ist eine reine Vergiftung. Es kommt nicht dazu, daß die Bakterien (Clostridium botulinum) irgendwelche Bereiche des menschlichen Körpers besiedeln. Vielmehr besiedeln die Bakterien unter anaeroben (kein Sauerstoff vorhanden) Bedingungen Nahrungsmittel ("Fleischvergiftung") und produzieren Gift, welches mit der Nahrung vom Menschen aufgenommen wird. Botulismus entsteht durch Verzehr von nicht ausreichend konserviertem und verdorbenem Fleisch, Fisch oder Gemüse. Als Hauptquelle kommen Konserven in Frage (oft erkennbar an der Verformung, Bombage) sowie nicht ausreichend konservierte, geräucherte oder gepökelte Fleisch- und Fischwaren.

Der Name "Botulismus" bezieht sich auf den ersten Nachweis des Giftes in Wurst (botulus = Wurst). Das Gift ist hitzelabil und wird duch eine Viertelstunde Kochen zerstört.

Ausnahmen sind der seltene Wundbotulismus und Säuglingsbotulismus.

Was für ein Gift ist das Botulinum-Toxin?
Bei dem Gift handelt es sich um ein Eiweiß, bestehend aus einer einzigen Aminosäurekette. Es sind insgesamt sieben Toxintypen bekannt, die leicht untereinander variieren, Serotyp A, B, C1, C2, D, E, F, G benannt. Für den Menschen bedeutsam sind die Serotypen A, B und E. Es handelt sich um Nervengifte.

Wie giftig ist das Botulinum-Toxin?
Botulinum-Toxin ist das stärkste Gift überhaupt. Die letale Dosis wird mit 0,01 mg (10 µg) für einen Erwachsenen bei oraler Anwendung angegeben. Intravenös gegeben sind für einen Menschen schon 0,003 µg, also 3 Nanogramm tödlich! Jegliche Vergiftung ist lebensbedrohlich.

Wie wirkt das Botulinum-Toxin?
Obwohl das Gift ein relativ großes Eiweiß ist, wird es in nennenswertem Ausmaß im Darm resorbiert. Nach der Aufnahme im Darm wird das Gift über die Blutbahn zum peripheren Nervensystem transportiert. Das Toxin hemmt die Reizübertragung an den motorischen Endplatten, indem es die Calcium-Ionen-abhängige Ausschüttung des Signalstoffes (Neurotransmitters) Acetylcholin aus den Vesikeln der motorischen Endplatte verhindert. Im Detail spaltet es das an der Neurotransmitterfreisetzung beteiligten Protein Synaptobrevin. Die Signalübertragung vom Nerv auf die Muskelfaser wird dadurch unterbunden, der Muskel kann sich nicht kontrahieren. Die Hemmung der neuromuskulären Übertragung ist irreversibel. Weil das Gift das katalytisch verursacht, kann ein einziges Molekül des Giftes eine ganze Muskelfaser lahmlegen. Kleinste Mengen des Giftes reichen daher aus, um einen Menschen tödlich zu schädigen. Die normale Signalübertragung kann erst wieder durch Neubildung von Nervenendigungen hergestellt werden.

Abb.: 3D-Raumstruktur des Botulinum Neurotoxins B, PDB-ID 1EPW, visualisiert mit Chimera. Orange die Alpha-Helices, silbern die Beta-Faltblattstruktur. Die türkisfarbene Zone im rechten Bereich ist ein Sulfation.

Wie verläuft Botulismus?
Botulismus ist der nach Vergiftung mit Botulinum-Toxin auftretende Symptom-Komplex. Nach wenigen Stunden bis Tagen kommt es zu Lähmungen. Symptome sind Acetylcholin-Mangel-Symptome, Schwindel, Doppeltsehen, Kopfschmerzen, Erbrechen, Sprachstörungen, Schluckbeschwerden, Magenbeschwerden, Pupillenerweiterung, Akkomodationslähmung, Lichtscheu (Lähmung der Augenmuskeln), Flimmern, Benommenheit, Atemnot, Verstopfung, Versiegen der Speichelproduktion, Austrocknung von Schleimhäuten. Die Lähmungen erfassen immer weitere Bereiche der Muskulatur, bis schließlich der Tod nach 3-8 Tagen durch Atemlähmung oder Herzstillstand oder Bronchopneumonie eintritt. Die Sterblichkeit hängt von der Menge des aufgenommenen Giftes ab, sie schwankt zwischen 25-70%.

Besonders schwere Vergiftungen beobachtet man nach Inhalation von Stäuben des Giftes, das schon im Nasen-Rachen-Raum aufgenommen werden kann.

Wie behandelt der Arzt Botulismus?
Schnelle Darmentleerung mit dünndarmwirksamen Laxantien (Ricinusöl) oder Natriumsulfat, eine Magenspülung ist ebenfalls möglich. Dann kommen als Gegenmittel Physostigmin 2 mg i.m. oder i.v. in Frage, oder man gibt polyvalentes Botulismus-Antitoxin 400-500 ml i.v. (meist zu spät). Je nach Schwere der Vergiftung kann künstliche Beatmung notwendig werden. Weitere symptomatische Behandlung ist sinnvoll.

Antibiotikagabe macht überhaupt keinen Sinn, weil es sich bei Botulismus zwar um ein bakterielles Gift, aber NICHT um eine bakterielle Infektion handelt.

Hat das Botulinum-Toxin auch einen medizinischen Nutzen?
Gereinigtes Botulinum-Toxin wird zur lokalen intramuskulären Therapie von krampfartigen Muskelerkrankungen (z. B. Schiefhals) eingesetzt.

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PDB-ID 3BTA, http://www.rcsb.org/pdb
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PDB-ID 1EPW, http://www.rcsb.org/pdb
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