Bernhard Peter
Eine Fischvergiftung namens Ciguatera
(Bitte besprechen Sie im Zweifelsfall Ihre Beschwerden und Maßnahmen mit einem Arzt Ihres Vertrauens!)

 

Was ist Ciguatera?

Ciguatera ist weltweit die häufigste Fischvergiftung. Aber: Mit Fischvergiftung assoziiert man meist den Verzehr von verdorbenem Fisch oder den von giftigen Fischen. Das ist bei Ciguatera nicht der Fall. Ciguatera hat auch nichts mit überaltertem, verwesendem Fisch zu tun. Die Fische, die Ciguatera nach Verzehr auslösen, sind normalerweise ganz harmlose und gut verträgliche Speisefische. Es gibt ein zwar seltenes, dann aber lawinenartig losbrechendes Phänomen, das diese Fische örtlich und zeitlich begrenzt zum Träger eines sehr gefährlichen Giftes werden läßt. Ciguatera ist also eine Fischvergiftung, die nach dem Genuß von ansonsten ungiftigen Fischen unter besonderen Rahmenbedingungen auftreten kann.

Der Name der Vergiftung ist spanisch und leitet sich von der Bezeichnung für eine in der Karibik beheimatete Meeresschneckenart ab: Cigua (Turbo pica bzw. Livona pica). Dabei sind Meeresschnecken gar nicht mal die häufigsten Auslöser von Ciguatera, sondern Raubfische.

 

Was verursacht Ciguatera?

Das Geheimnis der Vergiftung heißt Anreicherung in der Nahrungskette. Die Ursache liegt bei Dinoflagellaten (bestimmte Einzeller, z. B. Gambierdiscus toxicus). Diese produzieren die Gifte. Sie bewohnen Meeresalgen. Diese Algen kommen auf Korallenriffen vor. Die Dinoflagellaten bilden ein Nervengift, das sog. Ciguatoxin, das über die Nahrungskette in die algenverzehrenden Fische (Doktorfische, Papageienfische) gelangt, bei diesen jedoch nicht wirkt. Fischen, die diese Algen fressen und dabei das Gift aufnehmen, ist die Vergiftung selber nicht anzumerken, weil es bei ihnen nicht wie beim Menschen wirkt. Der Giftstoff Ciguatoxin reichert sich im Laufe der Nahrungskette Dinoflagellaten – Alge – Pflanzenfresserfisch – Raubfisch – Mensch immer weiter an und wird aufkonzentriert. Unter dem Gift leidet nur der Mensch am Ende der Nahrungskette. Das erklärt auch die besonders hohe Konzentration in den Fischen, die in der Nahrungskette ganz oben stehen, den Raubfischen (Barrakudas, Makrelen, Schnapper, Muränen, Stachelmakrelen und Zackenbarsche). Entsprechend ist Ciguatera auch nicht auf einige typische Fische beschränkt, sondern kann eine große Zahl von Fischarten betreffen. Man schätzt heute bis zu 400 verschiedene Fischarten als ciguatoxisch, d. h. als möglicherweise anfällig für das Phänomen Ciguatera. Dieses Gift wirkt beim Menschen als Nervengift und beeinflußt die Übertragung von Reizen von Nervenzelle zu Nervenzelle. Eine besondere Rolle spielen dabei die Verbindungsstellen zwischen zwei Nervenzellen bzw. zwischen Nervenzelle und Muskel, die sog. Synapsen. Das Gift sorgt hier für eine abnorme Erregbarkeit und einer übersteigerten Reizleitung.

 

Ciguatoxin aus der Sicht des Chemikers

Chemiker sind von diesem Naturstoff begeistert, weil seine Struktur

Wow! Das soll mal einer nachmachen! Eine Wahnsinns-Synthese-Leistung für einen „primitiven“ Dinoflagellaten.

 

Ciguatoxin aus der Sicht des Pharmnakologen

Angriffspunkt des Giftstoffes sind die Natrium-Kanäle erregbarer Membranen, wie sie an Nervenzellen zu finden sind. Es führt zu einer erhöhten Erregbarkeit der Nervenzellen, damit zu Dauererregung des Nerven und damit zur Funktionseinbuße. Es gibt ein weiteres berühmtes Gift, das Tetrodotoxin des Kugelfisches, welches das genaue Gegenteil bewirkt. Beide sind als „Ein- bzw. Ausschalter“ Spielzeug der Pharmakologen bei der Forschung an Ionenkanälen von Nervenzellen.

 

Erwirbt man sich durch die Erkrankung Immunität?

Nein, im Gegenteil. Wenn man Ciguatera überstanden hat, ist man keinesfalls immun, sondern mit jeder neuen Erkrankung verschlimmert sich der Krankheitsverlauf, die Beschwerden nehmen zu.

 

Wo kommt Ciguatera vor?

 

Wie kann man sich an Ciguatera infizieren?

Ganz einfach: Durch Verzehr von betroffenem Fisch bzw. anderen Meerestieren in betroffenen Gebieten. Sozusagen, wenn man am falschen Ort zur falschen Zeit Fisch ißt. Eine Vergiftung nach dem Genuß von Krabben und marinen Weichtieren (Schnecken) ist viel seltener.

 

Ist das Risiko einschätzbar?

 

Welche Fische sind möglicherweise giftig?

Betroffene Fische sind von außen nicht von ungiftigen zu unterscheiden! Zur Risikoeinschätzung gilt: Je weiter oben in der Nahrungskette ein Fisch steht, desto größer ist das Risiko einer Anreicherung des Giftes im Falle eines Ausbruches. Große Raubfische sind besonders stark kontaminiert. Die folgenden Fischarten haben schon eine Ciguatera ausgelöst:

 

Geht das Gift beim Zubereiten von Speisen kaputt?

Das Gift ist fettlöslich, was die Aufnahme zusätzlich begünstigt und hitzestabil. Durch Braten, Kochen, Räuchern oder Tiefkühlen geht die Giftwirkung nicht verloren.

 

Wie häufig kommt es zu einem Ciguatera-Ausbruch?

Pro Jahr kommt es nach Schätzungen zu 10.000 bis 50.000 Vergiftungen.

 

Wie verläuft eine Erkrankung an Ciguatera?

Inkubationszeit: Zwischen dem Verzehr der Fische und dem Auftreten der Symptomatik vergeht wenig Zeit. Der Mittelwert liegt bei 5,5 Stunden (unter sechs Stunden bei 52 %, unter 12 Stunden bei 77 %, unter 24 Stunden bei 96 %).

Anfangs-Beschwerden: Schwitzen, Taubheitsgefühl und Brennen, vor allem im Mundbereich.

Dann treten später folgende Beschwerden auf: Schüttelfrost, Schwindelgefühle, Übelkeit, Erbrechen, Durchfälle, Unterleibsschmerzen und Muskelkrämpfe. Parästhesien (Juckreiz, Kribbeln, Taubheitsgefühl) an den Lippen, der Mundschleimhaut und vor allen an Handinnenflächen und Fußsohlen. Außerdem breiten sich die Taubheitsgefühle in Hände, Füße sowie im Gesicht aus. Das Wärme- und Kältegefühl dreht sich teilweise um. Bei Kontakt mit Kälte schmerzhafte, brennende oder kribbelnde Empfindungen an den Händen oder Füßen. Dies kann bei dem Kontakt mit kalter Luft und beim Schlucken kalter Nahrung oder Getränke auftreten. Bei dem Kontakt mit Hitze ist keine umgekehrte Empfindung festzustellen. Diese Kälteempfindlichkeit ist ein typisches Merkmal bei einer Ciguatera-Vergiftung. Es können Lähmungen der Skelettmuskulatur, einschließlich der Atemmuskulatur, Schwindel und Koordinationsstörungen auftreten. Muskelschmerzen, Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen, Zahnschmerzen, Frösteln und Schwitzen sind weitere Symptome. Allgemeines Schwächegefühl entsteht. Alkoholverzehr verschlimmert die Beschwerden.

Die Beschwerden können, je nach Gewicht und Alter der Person, sowie der Menge des aufgenommenen Gifts in ihrer Stärke schwanken. Es gibt keine klar abgegrenzte Symptomatik, Verwechslungen mit anderen Vergiftungen durch andere Giftstoffe sind leicht möglich.

Seltener sind lebensbedrohlicher Blutdruckabfall und Herzrasen (Tachykardie) oder das Gegenteil davon. Insgesamt ist die Erkrankung sehr selten, sie führt jedoch in etwa 7% aller Fälle zum Tod.

Besserung:

 

Wie kann man Ciguatera behandeln?

Eine Behandlung, die gegen das Gift selbst gerichtet ist, ist nicht möglich. Ein Gegengift existiert nicht. Die Behandlung besteht daher aus folgenden Maßnahmen

Eine Herz-Kreislauf-Symptomatik kann weitere ärztliche Maßnahmen erforderlich machen: Bei einer Verlangsamung des Herzschlages kann Atropin, bei einem Blutdruckabfall Dopamin gegeben werden.

 

Wie kann man Ciguatera vermeiden?

Da die vergifteten Fische nicht von sich aus giftig sind und in der Regel völlig unbedenklich verzehrt werden können, gibt es keine realistische Möglichkeit, sich vor einer derartigen Vergiftung zu schützen. Man kann den Fischen auch in keiner Weise ansehen, ob sie Gift in sich tragen oder nicht. Man könnte höchstens in den betreffenden Ländern prinzipiell keinen Fisch mehr essen, aber wer macht das schon? Ein Schutz ist auch nicht durch Kochen, Braten oder Grillen möglich, da das Gift nicht durch Hitze zerstört werden kann.

Aber ist man im Prinzip verraten und verkauft? Nicht ganz, man kann das Risiko etwas geringer halten durch Beachtung gewisser Maßnahmen:

Generell ist die Erhaltung der Korallenriffe auch ein Schutz vor Ciguatera, denn abgestorbene Korallenbänke werden ganz schnell von Algen und Dinoflagellaten besiedelt.

 

Verwandte Vergiftungen

Der Name Ciguateravergiftung oder Ciguaterasyndrom ist in der Literatur leider oft noch ein Sammelbegriff. Im engeren und eigentlichen Sinne beschreibt er die Vergiftung durch den Naturstoff Ciguatoxin. Häufig werden aber noch auch verwandte Gifte wie z. B.

ebenfalls unter Ciguatera im weiteren Sinne geführt. Eine klarere Definition aus toxinologischer Sicht wäre angemessen, zumal die Quellen und die Wirkung im Detail unterschiedlich sind.

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