Bernhard Peter
Der Schild - Neigung und Wenden

Gute heraldische Praxis: Neigung von Schilden, Wenden von Wappen
Im Sinne guter heraldischer Praxis mögliche und akzeptable Darstellungen:

         

Die früher wie heute gültige Norm ist also ein gerade dargestelltes Wappen oder ein nach heraldisch rechts, optisch links gekippter Schild. Eine Abweichung von der Norm wird als gewendetes Wappen bezeichnet. Allein dieser besondere Ausdruck des "Wendens" macht deutlich, daß es sich um eine begründete Abweichung vom Normalfall handelt. Gewendet wird nur bei Vorhandensein eines Bezugspunktes, auf den hin man ein Wappen orientieren kann. Dann erreicht man durch das Wenden, daß das Wappen nach innen blickt, zum Zentrum einer Komposition. Man kann z. B. ein Wappen wenden, wenn man es oben links auf einem Briefbogen positioniert, was ich persönlich aber für unglücklich und vermeidbar halte, für Unkundige unter Umständen sogar verwirrend, wenn der Schildinhalt gespiegelt ist - und das ist der Wappeneindeutigkeit nicht zuträglich. Ohne einen solchen Bezugspunkt blickt der Schild grundsätzlich nach heraldisch rechts = optisch links, und auch dahin wird er geneigt. Eine Darstellung ohne weiteren Kontext folgt immer dem Regelfall. Und man kann es auch ganz einfach vermeiden, in solche Konfliktsituationen zu kommen, um beim Beispiel zu bleiben, indem man dann eben das Wappen rechts oben auf dem Briefpapier positioniert - Problem vermieden.

Wann schräg, wann gerade?
In vielen Fällen ist das von der Helmzier abhängig. Bestimmte Helmzieren wie ein Schirmbrett oder ein Stern können künstlerisch harmonisch und optisch überzeugend nur frontal dargestellt werden. Eine frontal dargestellte Helmzier erzwingt einen frontal dargestellten Helm, der häufig besser auf einem gerade gestellten Schild aussieht als auf einem geneigten (außer bei einem 45 Grad geneigten Stil wie in frühen gotischen Darstellungen, die sich sogar sehr gut mit einem frontalen Helm machen. Bei der heute üblichen geringen Neigung von ca. 20-30 Grad sähe es hingegen nicht gut aus). Andere Helmzieren erfordern eine Darstellung im Halbprofil, z. B. ein geschlossener Flug. Dann muß auch der Helm im Halbprofil dargestellt werden, und dieser erzwingt einen geneigten Schild, denn ein Helm im Halbprofil auf einer geraden Schildoberkante sieht m. E. unglücklich aus. Bei indifferenten Helmzieren wie z. B. einer mit Hahnenfedern besteckten Kugel kann man Stellung von Helm und Schild frei wählen.

Geneigte Schilde - wie stark geneigt?
Das ist eine Frage des Stiles, der Umstände und der Zeit. In frühgotischen Darstellungen waren die Schilde sehr stark geneigt, man schaue sich beispielsweise die Abbildungen in der Manessischen Liederhandschrift an.

 

Die obige Abbildung zeigt einen sehr alten Grabstein auf der Comburg bei Schwäbisch Hall. Hier beträgt die Neigung des Schildes mit den fünf Rauten sogar ca. 70-75 Grad! Dieses ist sicherlich ein Extrembeispiel, zeigt aber, daß es bei sehr alten Wappendarstellungen kein wirkliches Limit gibt.

In späterer Zeit wurde der Winkel geringer. Das hängt natürlich auch von der Gesamtdarstellung ab, entscheidend sind letztendlich der Gesamteindruck und der Gesamtstil. Stark asymmetrische Helmdecken vertragen auch schon mal eine starke Neigung.

Ich habe zur empirischen Klärung dieser Frage willkürlich Band 64 und 69 der Deutschen Wappenrolle herausgegriffen. Der exakte Mittelwert aller Neigungen beträgt in beiden Bänden jeweils 26 Grad. Meine Empfehlung: Sich im Mittelfeld orientieren, wenn man nicht eine künstlerisch hervorragende Lösung hat, die eine wesentlich stärkere oder geringere Neigung rechtfertigt. Je früher der gewählte Stil ist, desto mehr Neigung verträgt ein Schild. Mehr als 45 Grad werden aber bei heutigen Wappenaufrissen als unpassend empfunden.

Der Helm zum geneigten Schild
Die Neigung der Mittelsenkrechten der Schildoberkante ist die Neigungsrichtung des Gesamtschildes. Wenn ein Schild geneigt wird, wird der Helm nicht mitgeneigt, sondern bleibt aufrecht und blickt weiterhin den Gegner gerade an. Man stelle sich vor, ein Ritter sitzt auf dem Pferd, und egal wie er gerade den Schild in der linken Hand dreht und wendet, um die Schläge und Stöße abzufangen, er schaut immer noch mit den Augen auf seinen Gegner.

       

Auf einem geneigten Schild verbleibt der Helm nicht in der Mitte der Schildoberkante, sondern rutscht auf die höhere Schildoberecke. Man stelle sich immer vor, früher waren das echte Verteidigungswaffen, die ansonsten klirrend zu Boden gefallen wären, wenn's nicht hält. Und wenn man die Waffen an der Wand aufhängte, nutzte man meistens eine gemeinsame Anhängevorrichtung für Schild und Helm, so daß sie auch aus diesem Grund übereinander im Lot hingen. Deswegen setzt man bei einem geneigten Schild den Helm auf die höhere Ecke. So bleibt der optische Schwerpunkt mittig, denn die obere Ecke ist ja in Richtung Schildmitte eingewandert. Erst recht nicht wandert der Helm auf das niedrigere Obereck. Der Gesamteindruck eines Aufrisses soll ein harmonischer sein, und Harmonie erreicht man nicht, wenn das Lot optischer (und bei realen Waffen auch tatsächlicher) Gewichte (Schwerpunkte) zu weit auseinander steht. Die Positionierung des Lotes des optischen Schwerpunktes des Helmes etwas rechts (optisch definiert) vom Lot des optischen Schwerpunktes des geneigten Schildes kann optisch dem Kippmoment entgegenwirken und so für einen harmonischeren Gesamteindruck sorgen. Liegt das Lot des optischen Schwerpunktes des Helmes dagegen links (optisch definiert) vom Lot des optischen Schwerpunktes des geneigten Schildes, so verstärkt das das vorhandene Kippmoment, und die Gesamtdarstellung sieht unglücklich aus.

       

Auf einem geneigten Schild kann man einen frontal oder einen im Profil dargestellten Helm verwenden. Schöne Beispiele für frontal dargestellte Helme auf geneigten Schilden finden sich in der Manessischen Liederhandschrift.

Manche Sachen hält man solange für selbstverständlich, bis irgendjemand ankommt und etwas besonders Abstruses zeichnen will. Es gibt aber, das lehrt die tägliche Erfahrung, keine Idee, auf die Menschen nicht kommen. Ein solcher Fall ist auch die Stellung des Helmes bei geneigten Schilden: Ein Helm, wenn er im Profil dargestellt wird, blickt selbstverständlich immer in die Neigungsrichtung des Schildes!

       

Es ist eine heraldische Unmöglichkeit, den Schild nach rechts zu neigen und den Helm nach links blicken zu lassen! Die Kombination Schild in die eine Richtung, Helm um 180 Grad gedreht in die andere Richtung ist ein heraldischer Super-GAU und widerspricht sämtlichen Konventionen. Das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, aber die an Heraldiker herangetragenen Vorstellungen zeigen immer wieder, daß es leider wohl doch nötig ist, das mal explizit zu erwähnen.

Zusammenfassung der Konventionen zum Neigen:

Sonstiges zum Neigen:
Auch die Helmdecken werden nicht mitgeneigt, sondern passen sich zeichnerisch den neuen Gegebenheiten an.
Ferner wird bei Schraffurdarstellungen die Schraffur im Schild mitgeneigt, außerhalb des Schildes aber nicht (siehe Kapitel über Schraffuren).
Das Stürzen eines Wappens wird in einem anderen Kapitel besprochen und ist für Wappenstifter uninteressant, höchstens irgendwann unter bestimmten Voraussetzungen für die Hinterbliebenen.

Literatur, Links und Quellen:
Heinrich Hussmann: Über deutsche Wappenkunst: Aufzeichnungen aus meinen Vorlesungen, Guido Pressler Verlag, Wiesbaden 1972
Wappenfibel, Handbuch der Heraldik, hrsg. "Herold", Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften, Verlag Degener, Neustadt 1981
Walter Leonhard: Das große Buch der Wappenkunst, Bechtermünz Verlag 2000, Callwey Verlag 1978
Georg Scheibelreiter: Heraldik, Oldenbourg Verlag Wien/München 2006, ISBN 3-7029-0479-4 (Österreich) und 3-486-57751-4 (Deutschland)

Der Schild und seine Formen
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© Copyright Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2008
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